Projektbeschreibung

Ulli Fuchs: Wider das Vergessen und Verdrängen!

Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ hatte im Rahmen der Initiativen und Aktivitäten im Gedenkjahr 2008 einen besonderen Status, da es auf einem gemeinsamen Beschluss aller politischen Parteien des 6. Bezirks basierte. Der Initiator und Vorsitzende der Mariahilfer Kulturkommission Dr. Kilian Franer hatte 2007 den Grundstein gelegt: Nach Vorbild von Gunter Demnigs „Stolpersteinen“ sollten auch alle Opfer des Nationalsozialismus in Mariahilf Erinnerungsobjekte erhalten. Bei Gunter Demnigs Stolperstein-Aktionen, die schon in vielen Städten der Bundesrepublik Deutschland, in Mödling und Braunau am Inn und in Salzburg durchgeführt wurden, werden Gedenkobjekte in den Gehsteig vor der letztbekannten Wohnadresse der Deportierten einmontiert. Es handelt sich um Messingplättchen, meistens in der Größe 10 x 10 cm, die anstelle einzelner entfernter Pflastersteine eingesetzt werden. Nun haben wir in Wien nicht nur so gut wie kein Kopfsteinpflaster, sondern es ist auch gesetzlich und administrativ sehr aufwändig, eine Einlassung in den zumeist betonierten Gehsteig machen zu dürfen – von den ungleich höheren Kosten gar nicht zu reden.

Eine lange Debatte folgte. Vielen Menschen war der Gedanke unangenehm, Erinnerungstaferln in den Gehsteig einzulassen, sodass die PassantInnen darauf steigen können, Hunde ihr Geschäft darauf verrichten etc. Es wurden auch Bedenken bezüglich der Sicherheit geäußert, weswegen wir Gutachten von Behindertenorganisationen einholten, um die Trittsicherheit und die Minimierung der Rutschgefahr zu belegen. Des weiteren wurden in Mariahilf auch Erinnerungsobjekte an Hausfassaden angebracht. Dazu müssen allerdings die Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer ihr Einverständnis geben, was oft nicht zu erwirken war, und was auch einen zusätzlichen administrativen Aufwand bedeutete. 

Zum Teil geradezu erschütternd waren die Rückmeldungen mancher HausbesitzerInnen, die auf den Bittbrief von Frau Bezirksvorsteherin Renate Kaufmann negativ reagierten. Die Ablehnung wurde meistens gar nicht argumentiert, und wenn, dann mit den Worten, man möge die Vergangenheit endlich ruhen lassen. Besonders verquer war die Argumentation einer Hausverwaltung: Sie lehnte die Fassadenmontage ab, um nicht die Aufmerksamkeit von antisemitischen Beschmierern zu erregen. Etliche der angeschriebenen HausbesitzerInnen finden dieses Projekt aber absolut sinnvoll, einige gaben daher nicht nur ihr Einverständnis, sondern beteiligten sich selbst am Projekt, z.B. durch die Übernahme der Kosten für die Montage.

Mit der Herstellung der Gedenkobjekte ist die Metallwerkstatt von „Jugend am Werk“ betraut, die Begleitung, Förderung und Qualifizierung für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung anbietet. Das Team von Wolfgang Krutak nahm auch an einigen Veranstaltungen sehr aktiv teil.

Ein „Highlight“ unter unseren Veranstaltungen möchte ich hier besonders erwähnen: Frau Bezirksrätin Elisabeth Zoumboulakis-Rottenberg führte einen Grätzelrundgang rund um die KMS Loquaiplatz, zeigte die bereits bestehende Erinnerungstafel für die Synagoge in der Schmalzhofgasse, die im Zuge des Novemberpogroms 1938 völlig zerstört und nicht wieder aufgebaut wurde, und erklärte den Kindern und Jugendlichen der Integrationsklasse von Frau Lehrerin Christine Weinzettl, was Holocaust bedeutet.

Diese Jugendlichen waren so berührt, dass sie einige Zeit später ihrerseits die jugendlichen und erwachsenen MitarbeiterInnen von „Jugend am Werk“ einluden, mit ihnen den Rundgang noch einmal zu machen, und die Zusammenhänge von deren Arbeit noch einmal zu verdeutlichen.

Projektgeschichte und Finanzierung

Nachstehend der Wortlaut des Beschlusses der Mariahilfer Kulturkommission vom Frühjahr 2007, der die Grundlage und den Rahmen des Projekts definiert:

”Im Frühjahr 1945 ging hierzulande die an Grausamkeit nicht zu überbietende nationalsozialistische Diktatur zu Ende. Sie hatte auch in unserem Bezirk viele Opfer gefordert. Hunderte Unschuldige wurden in Mariahilf aus rassistischen, politischen, religiösen und aus sonstigen ideologischen Gründen, auch wegen ihrer sexuellen Orientierung, deportiert und ermordet. Zum ehrenden Andenken an diese Menschen sollen in Mariahilf bleibende Gedenkobjekte geschaffen werden, nicht zuletzt mit dem Ziel, ähnlichen Tendenzen in Gegenwart und Zukunft entgegenzutreten.
Dieses Projekt soll unter Einbeziehung von ExpertInnen, RepräsentantInnen der damaligen Opfer-Gruppen und auch der Bezirksbevölkerung – insbesondere von im Bezirk in Ausbildung Stehenden – realisiert werden. Dabei soll, wo dies als zweckmäßig bzw. notwendig erscheint, für eine entsprechende pädagogische resp. andragogische Begleitung Sorge getragen werden. Ein Aspekt der Partizipation soll darin bestehen, dass Private, Firmen, Institutionen u. ä. das Sponsoring für einzelne oder mehrere Objekte und/oder die pädagogische/andragogische Begleitung übernehmen können sollen.
Ein weit gefächertes Kulturprogramm soll sich mit der Relevanz der historischen Ereignisse für Gegenwart und Zukunft beschäftigen. In verschiedenen Einrichtungen des Bezirks sollen Informations- und Diskussionsveranstaltungen durchgeführt werden. Ganz besonders sollen junge Menschen mit Schul- und Kulturveranstaltungen angesprochen werden. In Ergänzung zum geschichtlichen Schwerpunkt soll auch auf heutige Formen von Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und die Unterdrückung von Minderheiten Bezug genommen werden.“

Als das Bezirksparlament beschlossen hatte, „Erinnern für die Zukunft“ als inhaltlichen Schwerpunkt für 2008 durchzuführen, wurde ein ExpertInnenbeirat einberufen, der sich aus VertreterInnen der verschiedenen Opfergruppen zusammensetzte, um das Konzept zu diskutieren und die weitere Vorgangsweise zu beraten. (An dieser Stelle sei auch noch besonders Elisabeth Ben David-Hindler gedankt, die mit ihren Erfahrungen aus dem Leopoldstädter Projekt „Steine der Erinnerung“ beratend zur Seite stand.)

Eine Ausschreibung für die Koordinationsstelle erfolgte, der ExpertInnenbeirat traf die Wahl.

Bereits am 2. Oktober 2007 fand die festliche Projektpräsentation statt, die Website wurde freigeschaltet, die Bezirksvorsteherin lud mit einem Schreiben an alle Haushalte des Bezirks zur Teilnahme ein.

Die Finanzierung des Gesamtprojekts steht auf drei Säulen: Der Nationalfonds der Republik Österreich übernimmt einen Großteil der Kosten für die Erinnerungsobjekte (30.000,-), die Veranstaltungen werden aus dem dezentralen Kulturbudget von Mariahilf bezahlt. Für einzelne Teilprojekte konnten auch verschiedene Abteilungen des Kulturamts (MA 7) als Geldgeber gewonnen werden (10.000,-). Darüber hinaus gibt es private Förderer und SponsorInnen, die mit der Übernahme von „Patenschaften“ helfen.

Geschichtswerkstatt und Kulturprogramm

Sofort mit dem Projektstart im Oktober 2007 wurde eine Geschichtswerkstatt am Bezirksmuseum ins Leben gerufen. Seither treffen sich dort regelmäßig Menschen, die an der Recherche der nationalsozialistischen Bezirksgeschichte ehrenamtlich arbeiten.

Als weiterer partizipativer Teil des Projektes „Erinnern für die Zukunft“ wurde ein lebensgeschichtlicher Gesprächskreis durchgeführt. Unter dem Titel „Kindheit und Jugend in Mariahilf“ sollten Menschen zu Wort kommen, die im Bezirk aufwuchsen oder einen sonstigen näheren Bezug zu dem Bezirk hatten. Zwischen Mitte Februar und Mitte Mai 2008 fanden jeweils montags insgesamt sieben Treffen im „Seniorentreff Mariahilf“ statt. Der Projektidee entsprechend wurde ein Schwerpunkt auf das Jahr 1938 und die folgenden Jahre unter der nationalsozialistischen Herrschaft gelegt. Es ging nicht nur um die politischen Ereignisse, sondern auch um Alltag, Lebensumstände und Örtlichkeiten. Stefanie van Felten vom Teilprojekt „Hörstationen“ besuchte darüber hinaus Hochbetagte, die nicht mehr mobil sind, und zeichnete deren Geschichten separat in Einzelinterviews auf. Diese sind auf der Website als Hörstationen abrufbar.

Aus Lebenserinnerungen von Vertriebenen bzw. aktiven WiderstandskämpferInnen entstanden auch zwei Filme: Alexandra Reill gestaltete eine Dokumentation über Heinz Moldau, der mit seiner Familie 1938 aus der Nelkengasse vertrieben wurde und nun auf den Orkney-Inseln lebt, Martin Just führte für seinen Film „Schlussstrich!?“ Interviews mit WiderstandskämpferInnen, die vor allem in England im Exil waren und wieder nach Wien zurückkehrten

Am 11. März 2008 konnten wir mit viel medialer Aufmerksamkeit die ersten Erinnerungsobjekte in der Nelkengasse und Mariahilferstraße präsentieren. Die Verlegung nahmen Herr Kulturstadtrat Mailath-Pokorny und Frau Bezirksvorsteherin Kaufmann vor.

Bei der Abendveranstaltung wurden AugenzeugInnenberichte vom Hitler-Einmarsch verlesen und das eigens erarbeitete Tanztheaterstück „Remember“ von der Kultur AG unter der Leitung von Walter Baco uraufgeführt.

Im April fanden Vorträge zur NS-Geschichte der Mariahilfer Theater von renommierten Theaterwissenschafterinnen statt und eine Vorstellung von „Glücksthals Rückkehr“, einem Forumtheaterstück, das sich auf sehr persönliche Weise mit der Enteignung der Juden und Jüdinnen auseinandersetzt.

Im Mai und Juni organisierten wir Lesungen, zum Teil in Kooperation mit den Bezirksfestwochen, die im Erinnerungsjahr auch einen antifaschistischen Schwerpunkt setzten: „Widersprechen 1938 – 2008“, „Witz und Spott im Dritten Reich“, Kabarett von Fritz Grünbaum und einen Zeitzeugenabend mit dem Flüchtling Leo Bretholz, der zum Zeitpunkt des Anschlusses Elektrikerlehrling und Schüler der Berufsschule Mollardgasse war. Mit der Situation von Behinderten im „Dritten Reich“ befasste sich das Theaterstück „Helvers Nacht“, aufgeführt von Teatro Caprile, bei dessen Generalprobe wieder MitarbeiterInnen von „Jugend am Werk“ dabei waren.

Während der Fußball-Europameisterschaft musste auch unser Erinnerungsprojekt pausieren, wir widmeten uns intensiv der Opferrecherche für die weiteren Gedenktafel-Verlegungen – die sich komplizierter gestalteten als ursprünglich angenommen.

Im Herbst setzten wir unsere Veranstaltungstätigkeit fort: Das Jüdische Theater Austria  präsentierte eine Premiere Open-air: „der Garten im Schrank“ von Warren Rosenzweig,

die Germanistin Rosa Rahel Neubauer hielt Vorträge über jüdische Märchen und Kinderliteratur in der Städtischen Bücherei. Im Andino präsentierte die ÖDA (Österreichische DialektautorInnen und -archive) eine CD: Georg Siegl vertonte Gedichte von Theodor Kramer anlässlich seines 50. Todestags.

Die Künstlerin Jella Jost erarbeitete ein Programm mit Jugendlichen des Gymnasiums Rahlgasse und MusikerInnen/SängerInnen der Volksgruppe der Roma. Im Semper Depot – Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste- fand das Konzert/ die Präsentation von „Gadsche-Roma“ statt.

Recherche

Als Grundlage für die Taferlfertigung diente die NS-Opferliste des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands (DÖW). Sie enthält etwa 730 Personen, die vom 6. Bezirk in ein Konzentrationslager deportiert und umgebracht wurden. Für die korrekte wissenschaftliche Arbeit braucht man eine zweite Quelle, die den Namen und die Daten bestätigt. Wir arbeiten anhand dieser Liste mit dem Wiener Landes- und Stadtarchiv, MA 8, zusammen. Einige Opfer wurden von MitarbeiterInnen der MA 8 recherchiert, die meisten wurden durch unsere ehrenamtlichen MitarbeiterInnen der Geschichtswerkstatt ebendort überprüft.

An dieser Stelle sei für die aufwändige Recherchearbeit besonders Elisabeth Zoumboulakis-Rottenberg gedankt! Sehr rasch sind wir dabei auf ein großes Problem gestoßen: Die meisten NS-Opfer haben vor 1938 nicht an den Adressen gewohnt, von denen aus sie deportiert wurden. Sie lebten häufig  in anderen Bezirken und befanden sich zwangsweise in „Sammelwohnungen“. Umgekehrt sind viele Mariahilfer BezirksbewohnerInnen von sogenannten „Sammelwohnungen“ vor allem aus dem 2. Bezirk deportiert worden. In der MA 8 gibt es keine nach Adressen sortierten Meldebestände, weshalb wir für unsere Recherchen immer nur von den Namen ausgehen können. (Die Meldebestände sind dort übrigens phonetisch geordnet, d.h. nicht alphabetisch, da es immer wieder unterschiedliche Schreibweisen von Namen gibt.)

Um dort jemanden finden zu können, vor allem bei häufigen Namen, benötigt man auch das Geburtsdatum, das in den DÖW-Listen meist auch aufscheint. Frauen, so sie verheiratet waren, hatten selten eine eigene Meldekarte, waren also mit den Männern mitgemeldet. Als weitere Informationsquelle dient uns das Adressverzeichnis Lehmann von 1938 („Geschäftsbetriebe und Hausparteien Mariahilf“), das nach Adressen geordnet ist und nur den ersten Buchstaben des Vornamens angibt. Hier finden wir also Menschen, die schon vor dem „Anschluss“ an der genannten Adresse gewohnt haben (wie bereits erwähnt, nur ein kleiner Teil der Opfer).

Die wichtigste zusätzliche Quelle stellt die unschätzbare Arbeit des Leiters des Matrikenamts der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Mag. Wolf-Erich Eckstein dar, der mit Daten der in Wien geborenen oder verheirateten Angehörigen der IKG weitere Belege liefern kann.

Die weiteren Rechercheschwerpunkte waren, da wir uns nicht ausschließlich mit den Opfern der „Nürnberger Rassegesetze“ beschäftigen:

  1. Komplette Durchsicht der Spiegelgrund-Akten im Wiener Stadt- und Landesarchiv, um die getöteten behinderten Kinder aus Mariahilf zu recherchieren. Die Nachforschung unserer Kollegin Elfi Tozzer ergab 12 Opfer.
  2. Alle im DÖW verfügbaren Unterlagen mit Hinweisen auf WiderstandskämpferInnen, die aus politischen Gründen verhaftet und hingerichtet wurden. Hier haben wir sechs Männer zu betrauern und zu ehren, und zwei Männer, die einer Widerstandszelle an ihrem Arbeitsort, der Firma Steyrermühl, angehört haben.
  3. SelbstmörderInnen, die ihrer Verhaftung bzw. Deportation durch den Freitod zuvorkamen.
  4. Keine persönlich und namentlich bekannten Opfer aus dem 6. Bezirk konnten wir aus den Opfergruppen der Sinti und Roma finden (diese haben zumeist im 10., 11., 21. und 22. Bezirk gewohnt). Wir haben weiters keine Daten über „asoziale“ und homosexuelle Menschen aus Mariahilf.
  5. Sehr wichtig in unserem Projekt sind auch die Zeugen Jehovas, deren Opfer in einer eigenen Ausstellung Anfang Oktober gedacht wurde. Aus Mariahilf sind drei Männer wegen Wehrdienstverweigerung enthauptet bzw. erschossen bzw. im KZ getötet worden, eine Bibelforscherin starb im KZ Ravensbrück.

Über 1.500 Menschen besuchten das dreitägige Rahmenprogramm mit Videos und Vorträgen.

Resumee und Ausblick

Die Mühlen der Bürokratie mahlen in Wien bekanntlich langsam, und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass ein Erinnerungsprojekt in Wien-Mariahilf Anfang Oktober 2008 nach über einem Jahr des Bestehens nur eine Schalung mit im Gehsteig verlegten Erinnerungsobjekten vorzuweisen hatte: Das Verfahren von der Recherche bis zur Verlegung ist sehr aufwändig und langwierig. Für Gehsteigeinlassungen sind Genehmigungen der MA 28, eine sogenannte Gestaltungserlaubnis, erforderlich, weiters müssen Vereinbarungen mit den Verlegungsfirmen getroffen werden, die Kontrahenten der Stadt Wien sind, d.h. eine Art Monopolstellung im jeweiligen Bezirk haben. Das Kulturamt der Stadt Wien übernimmt die Gedenkobjekte in denkmalpflegerische Obhut und auch die Kosten für deren Reinigung. Der Träger der Aktivitäten ist der Verein „Mariahilfer Kulturplattform“, die Vereinsobleute haften persönlich bei etwaigen Personenschäden (falls jemand wider Erwarten ausrutschen sollte), weshalb eine Haftpflichtversicherung nicht nur vernünftig, sondern unerlässlich erscheint.

Anfang November 2008, rund um die großen Gedenkveranstaltungen zum Novemberpogrom 1938, haben wir weitere Schalungen mit Erinnerungsobjekten verlegt. Es gab hervorragende Grätzelrundgänge mit der Kulturvermittlerin Petra Unger („Die verschwundenen Frauen aus Mariahilf“) und eine wundervolle Abendveranstaltung im Theater TAG mit der Kammermusikwerkstatt unter der Leitung von Barbara Rombach, die sich besonders der Werke der vertriebenen jüdischen Komponisten angenommen hat. Das Bezirksmuseum mit seinem neuen Leiter Dr. Erich Dimitz stellte einen Teil seiner neuen Dauerausstellung unserer Initiative zur Verfügung. Weiters präsentierte die Provenienzforscherin Dr. Gabriele Anderl Ergebnisse ihrer Recherche über den Mariahilfer Kunst- und Antiquitätenhandel in der NS-Zeit („Opfer und Profiteure“), und die Rechtshistorikerin Univ.Prof.Dr. Ilse Reiter-Zatloukal berichtete der Geschichtswerkstatt über ihre Forschung über den sozialdemokratischen Rechtsanwalt Dr. Isidor Ber Ingwer, der in der Kasernengasse (heute Otto Bauer-Gasse) gelebt und seine Kanzlei hatte, bis er von den Nazis nach Theresienstadt deportiert wurde. Den Abschluss unserer Veranstaltungen 2008 machte eine Reihe in der Mediathek des Technischen Museum Wien (geleitet von Dr. Rainer Hubert) mit einer Filmmatinee von Alexandra Reill, Vorträgen zur akustischen Chronik (Mediathek) und die Präsentation der Hörstationen auf unserer Website von Stefanie van Felten.

 

Im Sommer 2009 werden alle Opfer recherchiert und deren Gedenkobjekte gefertigt und verlegt sein. Derzeit sind im Gehsteig Taferln für 222 Personen eingelassen, Fassadentaferln gibt es für 52 Personen, zusammen also 274. Insgesamt müssen wir von einer Gesamtopferzahl von etwa 700 ausgehen. Von den noch fehlenden Erinnerungsobjekten, etwa 420, haben wir etwa die Hälfte bereits recherchiert und gefertigt.

Auf der Website findet sich eine virtueller Bezirksplan auf Basis von Google Maps, an dem die Erinnerungsobjekte vermerkt und erläutert sind. Alle Informationen, die wir zusammentragen konnten und die für die Öffentlichkeit freigegeben wurden, sind dort abrufbar. Die Website mit allen Rechercheergebnissen wird 2009 weiterhin online bleiben.

Diese schriftliche Publikation, ein gedruckter Projektbericht, gesponsert vom Echo-Verlag, ist ein weiterer Schritt in Richtung Festhalten und Aufschreiben der Geschichte, damit es nicht verloren geht. Für eine nachhaltige, zukünftige Erinnerungsarbeit sind die Grundlagen gelegt bzw. erarbeitet.

Dieser Beitrag ist bewusst sehr pragmatisch gehalten, damit sich die p.t. LeserInnen vorstellen können, was alles bedacht und gemacht werden muss, wenn man in Wien solch ein Projekt angehen und umsetzen möchte. Uns ist es besonders wichtig, Mut zu machen, Initiative zu entwickeln: Vieles ist möglich, wenn auch nicht einfach und unanstrengend, aber die Mühe lohnt sich!

In einem wesentlichen Punkt bin ich allerdings nicht zufrieden, und zwar, dass es uns hier wieder einmal nicht gelungen ist, an „bildungsferne“ Menschen heranzukommen. Ich meine hier keineswegs Lehrlinge – die Berufsschule Mollardgasse leistet vorbildliche, hervorragende antifaschistische Aufklärung –, aber das ursprüngliche Ziel, unterschiedlichste Menschen zusammenzubringen, ist immer noch in weiter Ferne.

Wäre es nicht toll, KlientInnen vom „Ganslwirt“ würden mit SeniorInnen des Wohnhauses Loquaiplatz gemeinsam in einem Kurs koscher kochen? Rosa-lila Villa mit den Rapid Ultras in Debatte über Fremdenfeindlichkeit und Homophobie? „Gruft“ und „Häferl“- Obdachlose am Theaterspielen in den hehren Hallen der Hochkultur, z.B. im Theater an der Wien?

Wäre es nicht mehr als gerecht, wenn die Mariahilfer Kaufmannschaft diesem Erinnerungsprojekt 100.000,- Euro zur Verfügung stellte?

Das antifaschistische Credo der Menschenwürde, der Auftrag „Niemals wieder!“, das Erinnern für die Zukunft, stellt uns immer wieder vor neue Aufgaben. Sei es das Wachsambleiben bei Verletzungen der Menschenrechte, sei es Zivilcourage gegen „neue“ Formen von altem Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus, seien es Kämpfe gegen autoritäre und undemokratische Praktiken in den Schulen und der Verwaltung – es gibt noch viele Bereiche, in denen dieser Auftrag umgesetzt und gelebt werden muss!

Wir sind täglich aufs Neue aufgefordert, die Lehren aus der Geschichte zu ziehen, sie umzusetzen und in allen Belangen des Alltags zu leben. Möge dieses Projekt ein Beitrag dazu sein, das Zusammenleben in Mariahilf ein wenig bewusster und würdiger zu gestalten!

Ulli Fuchs 2009